Begrüßung und Ansprache von
Bürgermeister Karl-Heinz Wiegelmann
anlässlich der Feierstunde
am 04. Nov. 1991

Zu der heutigen Gedenkstunde darf ich Sie, meine sehr verehrten Damen, meine Herren, als Bürgermeister recht herzlich im Namen der Stadt Spenge begrüßen.

Mein besonderer Gruß gilt dabei Herrn Spiegel, seiner Gattin sowie dem Landesrabbiner von Westfalen, Herrn Basilay. Auch Herrn Norbert Sahrhage, dem in Spenge geborenen Historiker, der in einem Vortrag die politischen Hintergründe des nationalsozialistischen Regimes beleuchten wird, darf ich recht herzlich willkommen heißen.

Einen besonderen Dank möchte ich bei dieser Gelegenheit dem Bläserkreis und den Solisten der Jugendmusikschule Enger/Spenge für die musikalische Umrahmung dieser Gedenkstunde sagen. Danken möchte ich aber auch der Familie Bruning aus Hücker-Aschen, die das Grundstück für den Gedenkstein zur Verfügung gestellt haben.

"Franziska Spiegel , geb. Goldschmidt, geb. am 06.05.1905 in Werl, wurde hier am 4. November 1944 Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Auf der Flucht vor dem Terror eines unmenschlichen Systems hoffte sie, in der Gemeinde Werfen sichere Zuflucht zu finden. Angehörige der SS verfolgten und ermordeten sie, weil sie Jüdin war. Ein menschenwürdiges Begräbnis wurde ihr verweigert. Ihr Tod blieb ungesühnt."

Dies, meine Damen und Herren, ist der Text auf dem Gedenkstein, der heute der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Hierauf haben sich nach eingehenden Beratungen im Kulturausschuss alle Fraktionen dieses Rates und die Verwaltung im Einvernehmen mit Herrn Spiegel geeinigt. Er gibt kurz und präzise die Umstände des Mordes an einer unschuldigen Frau und den Umgang mit der Toten wieder.
Diese knappen Worte zeugen schnörkellos von dem menschenverachtenden nationalsozialistischen Regime und der Ohnmacht vieler Menschen, die in ihm lebten.
Sie machen überdies deutlich , wie weit die Gesellschaft der damaligen Zeit in den Bann dieser unmenschlichen Herrschaft geraten war: Selbst der Toten verwehrte man ein menschenwürdiges Begräbnis; man verscharrte sie am Waldesrand.

Wer, so frage ich mich sicherlich mit vielen von Ihnen nicht nur in dieser Stunde, hat sich damals alles schuldig gemacht? Nun wird der jüngeren Generation, ich selbst war zum Zeitpunkt des fürchterlichen Mordes an Franziska Spiegel 11 Jahre alt, vielleicht zu Recht vorgeworfen, die damalige Zeit aus der Rückschau nicht realistisch genug einordnen zu können und deshalb voreilig zu urteilen.

Dies mag zutreffen .
Dennoch oder gerade deshalb ist es besonders für uns Deutsche wichtig, immer wieder an die Schrecken und Grausamkeiten des Hitlerstaates erinnert zu werden. Dies hat nichts mit einer kollektiven Schuldzuweisung zu tun. Viele Dokumente, Berichte, Filme und Bilder aus der damaligen Zeit führen uns immer wieder schrecklich vor Augen, wie viele Millionen Menschen - in der Hauptsache Juden, darunter auch etliche aus Spenge, der Gewaltherrschaft Hitlers zum Opfer fielen. Insofern steht das Schicksal von Franziska Spiegel für viele andere, besonders auch für die durch die Nazis zu Tode gequälten Spengeraner.

Wenn es Millionen Opfer sind, zählt, so scheint es oft, das Einzelschicksal nicht mehr. Es wird schnell vergessen, welche Qualen, Ängste, aber auch Hoffnungen jedes einzelne Opfer und diejenigen, die sie liebten , erleben mussten. So erging es auch Familie Spiegel.

Nachdem Franziska Spiegel bereits etwa 6 Wochen vor ihrer Ermordung mit ihrem damals 14jährigen Sohn von der Polizei festgenommen worden war, aber nach 3 Tagen wieder entlassen wurde, kam sicher Hoffnung in der Familie auf, den Krieg unbeschadet zu überleben. Was aber ging in Franziska Spiegel vor, als sie heute vor genau 47 Jahren von SS-Männern aus ihrem Haus entführt und durch das Hücker-Holz geführt wurde?

Welche Ängste musste die damals 39jährige Frau durchlitten haben? Ahnte sie bereits, was die SS-Schergen, mit ihr vorhatten?

Ich kann meine innere Erregung schlecht verbergen, wenn ich mir diese  letzten Schritte von Franziska Spiegel vorstelle . Dabei stellt sich für mich noch die Frage: Was waren die Täter für Wesen, sie als Menschen zu bezeichnen, fällt schwer; welche Dämonen beherrschten sie? Wie kann ein Mensch eine unschuldige Frau umbringen bzw. dabei zuschauen und - wie zum Hohn - auf den Rücken der Toten einen Zettel mit dem Vermerk "Sie war eine Jüdin" anbringen?

Sollte dies eine Rechtfertigung für den heimtückischen Mord sein? Für einen zivilisierten Menschen kaum vorstellbar! Fragen über Fragen, deren Beantwortung meine Vorstellungskraft und die vieler Menschen übersteigt.

Diese und ähnliche Fragen werden Sie sich, verehrter Herr Spiegel, aber auch Ihr Sohn sicher oft gestellt haben. Ihr Leid und das Ihrer Familie können wir zwar ahnen, aber in Wirklichkeit nicht nachvollziehen.

Dass Sie sich dennoch bereit gefunden haben, sich jetzt nochmals mit der Vergangenheit, d.h. mit den fürchterlichen Ereignissen vor 47 Jahren auseinanderzusetzen, ehrt Sie ganz besonders.

Wir nehmen den schrecklichen Tod Ihrer ermordeten Frau und diese Ihre Geste als Vermächtnis, nicht nur durch den Gedenkstein und durch die Strassenbenennung "Franziska-Spiegel-Weg", an das furchtbare Ereignis zu erinnern, sondern wir wollen und müssen durch Worte und Taten gemeinsam daran mitwirken, dass sich so etwas nicht noch einmal wiederholt. Dieses Vermächtnis hat gerade in diesen Tagen seine besondere Bedeutung, wo wir Tag für Tag in Deutschland einen zunehmenden Ausländerhass feststellen müssen.

Es ist erschreckend, dass gerade in unserem Land wieder der Rassismus an Boden zu gewinnen scheint . Kaum zu glauben, aber um so erschreckender, da es nicht die Meinung eines einzelnen ist, war für mich die Aussage eines jungen Mannes im Fernsehen am 26. Mai d.J., der da wörtlich sagte: "Ausländer sind keine Menschen, sie sind Viecher".

Meine sehr verehrten Damen, meine Herren,
in der nationalsozialistischen Zeit waren es die Juden, heute sind es die Ausländer, die von manchen Deutschen mit Hass überzogen werden. Haben wir denn nichts aus der Schreckensherrschaft des 3. Reiches gelernt?

Darum mein Appell: Wehret den Anfängen, damit andere Menschen nicht auch das Schicksal von Franziska Spiegel erleiden. Dieses ist die eindringliche Botschaft, die heute anlässlich dieser Gedenkstunde von Spenge ausgeht.

© Stadt Spenge

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